Helmpflicht durch die Hintertür – Gedanken zu Fehlurteil und Fahrradhelmen

 19. Juni 2013 •  Ekkart •  Auto, Fahrrad, Recht •  ToDo

Fast jeder hat diese Woche von dem Urteil gehört, dass einer Radfahrerin eine 20%ige Mitschuld an ihrem Unfall gab, weil sie keinen Helm trug. Viele Medien haben berichtet, darunter seriöse wie die Rad-Spannerei und semiseriöse wie das ehemalige Nachrichtenmagazin oder die FAZ.

Dabei ist die Darstellung so wie oben fehlerhaft. Das Urteil natürlich auch, dazu komme ich gleich. Als Quelle nehme ich die Pressemitteilung des OLG Schleswig-Holstein, an dem das Urteil gefällt wurde.

Um es gleich klarzustellen, was viele falsch verstehen: das Gericht hat der Radfahrerin keine Mitschuld am Unfall gegeben. Es hat ihr eine Mitschuld an der Schwere der Kopfverletzungen gegeben. Das heißt, die Radfahrerin hätte den Unfall nicht verhindern können und sie trifft dabei auch keine Mitschuld. Sie hätte jedoch den Kopf schützen können und ist so zu 20% selbst schuld an den Kopfverletzungen.

Die Fahrradfahrerin trifft ein Mitverschulden an den erlittenen Schädelverletzungen, weil sie keinen Helm getragen und damit Schutzmaßnahmen zu ihrer eigenen Sicherheit unterlassen hat (sogenanntes Verschulden gegen sich selbst). Der Mitverschuldensanteil wird im konkreten Fall mit 20% bemessen. (Pressemitteilung)

Zu den Gründen äußert sich das Gericht wie folgt:

Zwar besteht für Fahrradfahrer nach dem Gesetz keine allgemeine Helmpflicht. “Fahrradfahrer sind heutzutage jedoch im täglichen Straßenverkehr einem besonderen Verletzungsrisiko ausgesetzt. Der gegenwärtige Straßenverkehr ist besonders dicht, wobei motorisierte Fahrzeuge dominieren und Radfahrer von Kraftfahrern oftmals nur als störende Hindernisse im frei fließenden Verkehr empfunden werden. Aufgrund der Fallhöhe, der fehlenden Möglichkeit, sich abzustützen (die Hände stützen sich auf den Lenker, der keinen Halt bietet) und ihrer höheren Geschwindigkeit, z.B. gegenüber Fußgängern, sind Radfahrer besonders gefährdet, Kopfverletzungen zu erleiden. Gerade dagegen soll der Helm schützen. Dass der Helm diesen Schutz auch bewirkt, entspricht der einmütigen Einschätzung der Sicherheitsexperten und wird auch nicht ernsthaft angezweifelt. […] Daher kann nach dem heutigen Erkenntnisstand grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm tragen wird, soweit er sich in den öffentlichen Straßenverkehr mit dem dargestellten besonderen Verletzungsrisiko begibt.” (Pressemitteilung)

Das ist starker Tobak. Zunächst einmal wird dem Radfahren unterstellt, besonders gefährlich zu sein. Ein Irrglaube, der durch nichts belegt ist, Autofahrer z.B. sind im Straßenverkehr deutlich gefährdeter. Gerade im Bereich Kopfverletzungen. Im Gegenteil, Radfahren ist nicht nur gesund, sondern äußerst risikoarm.

Dann wird richtig festgestellt, dass die Gefährdung für Radfahrer_innen überwiegend von Autofahrer_innen ausgeht, die die Fahrbahn für sich haben wollen und dies auch durchsetzen. Daraus wird der Schluss gezogen, dass sich Radfahrer_innen mehr schützen müssen. WTF? Was wäre damit, dass die Autos sich mehr an die Regeln halten?

Dann wird gemeint, dass Radfahrer_innen besonders oft auf den Kopf fallen, auch das ist durch die Realität nicht belegt. Fallen Radfahrer_innen hin, schlittern sie meist vor sich hin, schürfen sich Knie oder Hände auf etc. In seltenen Fällen kommt es zu schweren Kopfverletzungen. Da diese aber hauptsächlich in Statistiken und von Ärzt_innen erfasst werden, entsteht der Eindruck, dass es nur kopfverletzte Radfahrer_innen gäbe.

Der nächste Klopper wird noch einmal extra zitiert:

Dass der Helm diesen Schutz auch bewirkt, entspricht der einmütigen Einschätzung der Sicherheitsexperten und wird auch nicht ernsthaft angezweifelt.

Das ist mir neu und exklusives Wissen des Gerichts sowie des ADAC, unseres Verkehrsministers sowie der Zeitungen des Landes. Im richtigen Leben[tm] wird oft genug angezweifelt, dass ein Helm vor größeren Verletzungen schützt.

Warum?

Nun ja, ein Fahrradhelm schützt zum einen nur den oberen Kopfbereich. Gesicht und Kinn sind komplett ungeschützt. Aber konzentrieren wir uns auf den wirklich seltenen Fall (der hier leider eintrat), dass man kopfüber genau oben auf den Kopf fällt. Wie wirkt nun so ein Helm? Er schützt zum einen vor Kratzern, zum anderen absorbiert er die Stoßenergie.

Wieviel Energie ein Helm absorbiert entscheidet darüber, wieviel Energie am Kopf ankommt. Je mehr, desto Schutz.

Preisfrage: wieviel Schutz bietet so ein Helm denn nun wirklich, wenn er ein Prüfzeichen bekommen soll? Fragen wir die Wikipedia (dort kann man auch die laut Gericht nicht existierenden Argumente gegen Helme nachlesen):

Fahrradhelme, […] müssen eine Prüfung gemäß der EN 1078 bestehen. Dabei müssen Prüfköpfe mit Massen zwischen 3,1 und 6,1 Kilogramm: aus einer Höhe von rund 1,5 Metern auf eine Ebene fallen, die Aufschlagsgeschwindigkeit beträgt dabei 19,5?km/h; aus einer Höhe von rund 1,1 Metern zentral auf ein dachförmiges Ziel fallen, die Aufschlagsgeschwindigkeit beträgt dabei 16,5?km/h.

Man nehme also eine kleine Melone, setze ihr einen Fahrradhelm auf, lasse sie aus 1,5 Metern (19,5 km/h) fallen, dann sollte sie ganz bleiben.

Zu schade, dass Menschen meist mehr als 6 kg wiegen und damit die Fallgeschwindigkeit und Energie deutlich(!) erhöhen. Ich z.B. liege bei > 100 kg und bringe mehr als 19,5 km/h in den Unfall. Bewegt sich das Auto auch noch wird das sehr schnell. Zieht man die absorbierte Energie ab, bleibt noch ein großer Teil übrig, der in den Kopf geht. Sehr viel.

Ehrlich: Fahrradhelme bringen nix (ok, sie sorgen dafür, dass Autofahrer_innen enger überholen, aber egal). Helme, die etwas bringen, heißen Integralhelme, sind für Motorradfahrer gedacht und entsprechend gut durchdacht, dafür aber auch schwer.

Bleibt zu hoffen, dass die Radfahrerin in die nächste Instanz geht, um dieses Urteil aufheben zu lassen, diese Hoffnung ist aber gering, denn so ein Prozess kostet. Geld und Nerven. Das tut sich nicht jede_r an.

Bleibt ein Rückschlag in dem Bemühen, den Autoverkehr zur Einhaltung der Regeln zu bewegen, wenigstens der Regeln, die Gesundheit und Leben kosten. Denn, machen wir uns nichts vor, der/die nächste Autofahrer_in sieht Radfahrer_in und denkt: kein Helm, dem/der zeig’ ich es jetzt.