@AndreNeumannABG – Ihre Tweets von gestern

 31. Mai 2020 •  Ekkart •  blacklivesmatter, georgefloyd •  ToDo

Sehr geehrter Herr Neumann,

Sie haben gestern zwei Tweets geschrieben, die ich sehr daneben finde, der erste wirft Schwarzen vor, rassistisch zu sein und sich als bessere Menschen zu fühlen, im zweiten schreiben Sie dann, dass diejenigen, die den ersten Tweet problematisch finden, diesen nur falsch verstanden haben und Sie etwas anderes gemeint haben.

Wir kennen uns nicht persönlich, ich kann mir schon vorstellen, was Sie gemeint haben, immerhin bin ich nur einen Monat älter als Sie und ähnlich sozialisiert; dennoch möchte ich Ihnen gerne mitteilen, warum ich beide Tweets für misslungen halte.

Warum schreibe ich Ihnen? Nun ja, weil ich Sie bisher nicht als “schlechten Menschen” kennengelernt habe und mir gerne diesen Eindruck erhalten möchte. Manchmal braucht man jemanden, der einem sagt: “Hier hast Du danebengelegen”. Mach ich.

Der Text wird etwas länger, ich hoffe, Sie lesen ihn trotzdem durch, ich veröffentliche ihn auch in meinem Blog, eine etwaige Antwort von Ihnen ebenfalls.

Zum Kontext: am 25. Mai wurde wieder einmal ein Schwarzer – George Floyd – in den USA von der Polizei umgebracht. Er ist nicht der erste unschuldige Tote dort und wird auch nicht der letzte sein. Insbesondere rassistische Taten haben in den USA in letzter Zeit wieder zugenommen, das wissen wir beide.

Die Tat wurde gefilmt, der Mann wurde 9 Minuten lang von einem Polizisten mit dem Knie erwürgt, wie ein Tier. Drei weitere Polizisten standen dabei und ließen die Tat geschehen.

Alle vier Polizisten sind suspendiert worden und erst zwei Tage nach dem auf Kamera festgehaltenen Mord festgenommen worden.

Die ersten Kundgebungen von Schwarzen deswegen waren friedlich. Dennoch wurden sie von der Polizei mit Tränengas und Gummigeschossen unterbunden und auseinandergetrieben. Zwei Tage lang. Danach begannen Unruhen und gewaltsame Proteste u.a. mit Plünderungen und Brandstiftungen.

Derzeit scheint es so, als seien die ersten Plünderungen von Weißen begangen worden, unter ihnen ein Polizist, aber das muss noch belegt werden. Klar ist, dass ca. 80 % der Plünderer von außerhalb eingereist sind und dass überwiegend die schwarzen und armen Communities betroffen sind.

Die “Aufstände” (wie ich sie mangels eines besseren Worts nennen würde) greifen jetzt um sich in mehreren Städten der USA.

Auf Twitter werfen jetzt Schwarze Weißen vor, dass sie Schwarze nicht achten würden. Sie fordern sie dazu auf, auch für Schwarze einzustehen und nennen das #BlackLivesMatter

Wie kommen diese Leute darauf? Vielleicht, weil in letzter Zeit erstaunlich viele Schwarze einfach so von Weißen umgebracht wurden? Weil überproportional viele Schwarze in Gefängnissen sitzen? Weil Polizei und Justiz gegenüber Schwarzen viel härter durchgreifen als gegenüber Weißen? Weil erst vor kurzem eine schwarze Frau in ihrer Wohnung von einer Polizistin erschossen wurde – einfach so.

Das ist jetzt nicht ausgedacht, das sind die belegten Fälle, nicht die Dunkelziffer.

Wir wissen beide, wenn der Mord von George Floyd nicht gefilmt worden wäre, wäre gar nichts passiert. Überhaupt nichts. Dunkelziffer eben, wieder ein Schwarzer, der wird schon was gemacht haben.

Dazu kommt die permanente Ungleichbehandlung, hier Tränengas und friedlichen Protest, dort der Protest der bewaffneten Weißen letzten Monat, die wegen Maskentragens und leichter Ausgangssperre mit halbautomatischen Kriegswaffen ein Parlament besetzten, die Gouverneurin bedrohten und daraufhin von der Polizei äußerst höflich gebeten wurden, mal wieder zu gehen. Der Präsident twitterte von “good people”.

Zu den Kundgebungen wegen George Floyd twitterte er übrigens “When the looting starts, the shooting starts.” Er zitiert einen Rassisten, dessen Äußerungen zu Rassenunruhen in Miami geführt haben, damals, als Schwarze offiziell noch keine richtigen Menschen waren in den USA.

Ach ja, Anfang der Woche trendete eine weiße Frau, die die Polizei rief, weil ein Schwarzer sich erdreistet hatte, sie zu fragen, ob sie ihren Hund im Park anleinen könnte, wie es vorgeschrieben ist. Sie rief die Polizei! Wären das die Cops vom 25.5. gewesen, wäre der Mann jetzt tot. Davor wurde die Polizei gerufen, weil ein Schwarzer im McDonalds saß. Der dann mit Handschellen abgeführt wurde. Davor …

Schwarzen wird gesagt, dass gewaltsamer Protest falsch ist, sie sollen friedlich protestieren. Außer, dass auch friedlicher Protest sanktioniert wird, siehe Colin Kaepernick oder das Tränengas am 25. und 26.5. Schwarzen wird gesagt, dass sie gleich seien, trotzdem werden sie systematisch an der Beteiligung bei Wahlen gehindert.

In dieser Lage kommen Schwarze nun auf die Idee, dass sie in den USA weniger wert sind als Weiße, auch so eine wissenschaftlich belegte Tatsache. Übrigens: auch in Deutschland sind wir da nicht so weit, wie Sie und ich das gerne hätten, aber sparen wir das mal für später auf.

Auf Twitter fordern nun Schwarze Weiße auf, sie zu unterstützen und was zu tun. Manche beschimpfen auch Weiße, weil sie nicht wie ein Tier umgebracht werden wollen. Die meisten Weißen stimmen zu, aber es gibt genügend, die das anders sehen oder darauf hinweisen wollen, dass sie ja auch Menschen sind.

Und es gibt genügend, die darauf hinweisen, dass sie anders sind und sich die Schwarzen überhaupt mal nicht so aufregen sollen und wenn, dann bitte friedlich. Und dass, wenn sie von Schwarzen beschimpft werden, das Rassismus ist. Die Schwarzen sind die wahren Rassisten.

Wenn Ihr Kind mit dem Auto angefahren wird und sie sagen “Autofahrer, passt auf Kinder auf”, dann würden Sie ungern als Antwort erhalten “nicht alle Autofahrer fahren Kinder um und wenn Sie das so sagen, reden wir gar nicht mehr. Und außerdem, wer sagt, dass die Autofahrer aufpassen müssten, der verkennt ja, dass Kinder dauernd über die Straße rennen ohne zu gucken und die Kinder sind die wahre Gefahr und selbst schuld” (der Vergleich hinkt, aber nur ein bisschen).

Zusammenfassend: George Floyd, ein Schwarzer, wird würdelos auf der Straße erwürgt, weil er ein Schwarzer ist, nicht weil er irgendwas getan hätte. Nach Jahren solcher Dinge erlauben sich die Schwarzen jetzt, zu sagen: kann ja nicht sein. Die Polizei greift mit Tränengas und Gummigeschossen ein. Auf Twitter wird den Schwarzen vorgeworfen, selbst schuld zu sein oder sich mal nicht so zu haben, Weiße sind auch ok. Außerdem sind Schwarze sowieso gefährlich, da holt man lieber einmal mehr die Polizei.

Daraufhin greifen Schwarze auf Twitter zu schroffer Sprache.

Jetzt kommt Ihr Tweet.

Sie haben geschrieben:

Sie sagen, ich hab den falsch verstanden.

Was genau wollten Sie denn ausdrücken?

Sie schreiben, dass Schwarze auf Twitter gegen Weiße rassistisch sind und dafür nur auf eine Gelegenheit gewartet haben und jetzt gefunden haben: den Rassismus der Weißen in Form des Mords an George Floyd.

Sie bringen dafür keine Belege, so dass man nicht nachvollziehen kann, welche Tweets Sie da meinen.

Amadeu-Antonio-Stiftung

Was Sie beschreiben ist “einfaches” Mobbing, Beschimpfungen, Drohungen, etc. pp. Und in den meisten Fällen kann ich das sehr nachvollziehen. Da ich nicht weiß, auf welche Tweets Sie sich beziehen, kann ich da nur raten.

Was aber auf jeden Fall fehlt, ist der reale Machtunterschied in der Gesellschaft. Schwarze haben weder auf Twitter noch in den USA mehr Macht als Weiße. Sie können ihre Drohungen nicht gesellschaftlich verwirklichen.

Diese falsche Analogie wurde von den neuen Rechten aufgebaut, die ihre Handlungen natürlich rechtfertigen müssen und auf den Trick mit dem “Rassismus gegen Weiße” gekommen sind, gegen den sie sich natürlich wehren müssen. Durch Rassismus.

Das ist wie mit den Antifaschisten, die die eigentlichen Faschisten sind, weil sie ja die Faschisten bekämpfen.

Beides ist hanebüchener Unsinn.

Dann schreiben Sie noch von einer “unnötige moralische Überhöhung. Schwarze sind keine besseren Menschen als Weiße.”

Jetzt muss ich einmal deutlich werden: WTF?

Wo haben Schwarze behauptet, sie seien bessere Menschen als Weiße? Alles was ich mitbekommen habe ist, dass sie auch als Menschen wahrgenommen werden wollen, nicht als Tiere. Vielleicht sehen sie da andere Tweets als ich.

Aber unabhängig davon, vielleicht hat jemand geschrieben “ich bin besser als Du, wenn Du zusiehst, wie mein Bruder ermordet wird”, keine Ahnung. Selbst wenn – das ist ihr Problem in dieser Situation?

Schwarze leiden unter Rassismus, werden in den USA massiv benachteiligt, regelmäßig schikaniert und genauso regelmäßig ermordet, auch von der Polizei – und Sie beschweren sich über den Ton auf Twitter?

Wenn das tatsächlich Ihr größtes Problem in dieser Gesamtsituation ist – und so scheint es, denn Sie haben ja dazu getwittert – dann sind Sie leider Teil des Problems.

Sie haben genügend Antworten auf den Tweet bekommen, einige auch hart im Ton, einige unfair. Aber stellen Sie sich bitte einmal vor, sie sind Schwarzer in Deutschland. Ein Land, in dem in Dessau Oury Jalloh in der Polizeizelle verbrannte. Wo es Jagd auf “Ausländer” gibt. Wo es Benachteiligung in der Schule, Arbeit, Wohnungssuche durch ihre Hautfarbe und ihren Namen gibt. Wo ein Muslim ihrer Schwesterpartei kein Bürgermeister sein darf, weil er Muslim ist. Wo es racial profiling durch die Polizei gibt. Und vieles mehr.

Und dann lesen Sie einen Tweet, in dem geschrieben wird, dass Sie nur auf die Gelegenheit gewartet haben, sich moralisch über Weiße zu erheben. Und dass ihnen deshalb der Mord an George Floyd gelegen kommt. Dass Sie derjenige sind, der dessen Tod ausnutzt.

Wenn Sie halbwegs so denken wie ich, wären Ihnen deutlichere Worte von der Hand gegangen als Sie überwiegend bekommen haben.

Als erste Antwort bieten Sie übrigens ein “das habt Ihr falsch verstanden, ich bin unschuldig” an. Das ist eine schwache Ausrede. Wenn Sie etwas anderes gemeint haben, hätten Sie etwas anderes schreiben sollen.

Ich bin ein großer Freund von “ich habe Mist gebaut, das sehe ich ein, hier ist mein Plan, wie ich damit umgehen werde”. Ich bin kein großer Freund von “Ihr seid schuld, wenn Ihr meine Worte so auslegt, wie sie da stehen und nicht, wie ich sie gemeint habe.”

Sie fragten auf Twitter noch: “Bin ich Rassist?”

Wir kennen uns nicht. Wenn ich nur nach diesem einen Tweet gehe, müsste ich sagen: “ja”. Denn Sie haben etwas Rassistisches geschrieben.

Da ich noch mehr Tweets von Ihnen gelesen habe würde ich sagen: nein, aber Sie haben da etwas Rassistisches geschrieben. Denken Sie in Ruhe drüber nach, und schauen Sie, dass Sie offen damit umgehen, falsch gelegen zu haben. Das lag nicht an den anderen, sondern an Ihnen.

Dafür ist immer Zeit. Bitte verrennen Sie sich nicht in eine Opferrolle, sondern stehen Sie zu ihrem Text, der war falsch, kann passieren. Wie Sie jetzt damit umgehen, das wird meine Antwort auf die Frage “Bin ich Rassist?” stark beeinflussen.

Mit freundlichen Grüßen,

Ekkart Kleinod.

PS: es gibt noch viel mehr zu diesem Thema zu sagen, was auf Twitter und in Blogs auch gesagt wird, es lohnt sich, dort reinzulesen. Das hier ist wirklich nur die Kurzfassung gewesen 🙂